Jitka Hanzlová Identities
Die ALBERTINA präsentiert mit Jitka Hanzlová – Identities die erste museale Ausstellung von einer der bedeutendsten Fotografinnen der Gegenwart. Jitka Hanzlová floh 1982 aus der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik nach Westdeutschland, wo sie später in Essen Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Fotografie studierte und bis heute lebt.
Erste Museumsausstellung in Österreich
Jitka Hanzlovás Werk zeichnet sich durch eine subtile und zugleich konsequente Untersuchung des Verhältnisses von Mensch und Lebensraum aus. Die in der historischen Pfeilerhalle präsentierte Ausstellung umfasst zehn Serien aus den Jahren 1990 bis heute – von Porträts über Aufnahmen von Landschaften und Tieren bis hin zu Fotografien von Naturphänomenen. Hanzlovás künstlerische Sprache regt zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und ökologischen Fragen an. Im Mittelpunkt stehen dabei Themen wie Identität, Zugehörigkeit, Exil sowie die Beziehung des Individuums zu seinem Umfeld.
Erinnerung, Identität und Exil
Hanzlovás persönliche Erfahrung des Exils bildet den Ausgangspunkt für ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Fragen der Identität. In vielen Serien verhandelt sie das Spannungsfeld zwischen Herkunft und neuer Heimat, zwischen Vertrautem und Fremdem. Durch die Verarbeitung ihrer Erfahrungen wird Identitätspolitik nicht als abstrakter Begriff, sondern als zutiefst persönliche und gleichzeitig gesellschaftliche Angelegenheit begreifbar.
In ihrer ersten großen Serie Rokytnik (1990-1994) lädt Hanzlová die Betrachtenden ein, sie in ihr gleichnamiges tschechisches Heimatdorf zu begleiten. Ohne einen explizit sozialkritischen Anspruch zu erheben, entwirft sie ein vielschichtiges Porträt des Dorfes, das sich zu dem Zeitpunkt zwischen sozialistischer Vergangenheit und demokratischer Zukunft befindet. In formaler Hinsicht ist ihr durchgängiger Einsatz des Hochformats bemerkenswert – Landschaftsaufnahmen werden traditionell im Querformat gestaltet.
Lebenswelten
Als direktes Gegenstück zur Serie Rokytnik ist die in europäischen Städten aufgenommene Serie Bewohner (1994-1996) entstanden. Die Weite der Natur in Rokytnik ist darin eingrenzenden Zäunen und Mauern gewichen. Die Serie Hier (1998, 2003-2010) wiederum vereint Porträts, Aufnahmen von Tieren und Fotografien von trostloser Architektur. Die Menschen wirken isoliert und von ihrer Umgebung entfremdet.
Vorwiegend in großen Metropolen aufgenommen ist die Arbeit Female (1997-2000): Diese Serie entsteht zwischen New York, Los Angeles, Berlin und London auf Basis eines Konzeptes Frauen eine Plattform zu bieten. Die Fotografien der zufällig auf der Straße angetroffenen Frauen zeigen den Aufnahmeprozess als kommunikativen Akt, Brixton (2002) entsteht auf Einladung der Londoner Photographer’s Gallery im gleichnamigen Stadtteil im Süden Londons und nimmt die Afro-Karibische Kultur sowie die Migrationserfahrungen der Frauen in den Fokus. Die Künstlerin verzichtet dabei auf explizite Sozialkritik und zeigt subtiles Einfühlungsvermögen.
Erleben von Natur
Als Gegenpol zu den Serien im urbanen Umfeld, erforscht Jitka Hanzlová in Forest (2000-2005) die organische Stille des Waldes in der Nähe ihres tschechischen Heimatdorfes. Forest ist eine Reise in die Vergangenheit und Auseinandersetzung mit der Erinnerung und fängt die subjektive Erfahrung der Natur ein. Für Hanzlová ist der Wald entscheidend für das Überleben des Menschen, für den Austausch von Sauerstoff, für die Kultivierung von Flora und Fauna und für das Wachstum von Organismen. In diesem Sinne ist Forest auch ein soziopolitisches Werk.
Ökologische Fragen und Klimawandel
Die Themen Urbanität, Natur und Umwelt liegen der Serie Hier (1998, 2003-2010) zu Grunde, die in einer großen Agglomeration im Ruhrgebiet entsteht. Diese thematisiert die Beziehung zwischen Natur und Kultur sowie problematische Eingriffe des Menschen in seine Umwelt.
Auch andere Arbeiten der Künstlerin beschäftigen sich intensiv mit ökologischen Themen. Die acht Kapitel umfassende Serie Water wagt sich an neue Wege der Bildsprache und Vorstellungskraft und setzt sich mit den sichtbaren - und unsichtbaren - Folgen des menschlichen Handelns auf die Natur auseinander. Hier widmet sich die Künstlerin den drei Aggregatzuständen von Wasser. Die Ausstellung präsentiert zwei Kapiteln, Ice und Clouds, in denen Wasser stets einzigartige Formen annimmt: Sequenzen von Wolken sowie konkrete und abstrakte Details gefrorener Gletscher. Die Künstlerin lenkt den Blick auf die Verletzlichkeit von Ökosystemen. Die Bedrohung der Natur und ihre Schönheit, die sie ohne jegliche Verklärung wiedergibt, liegen in ihrer fotografischen Sprache nahe beisammen.
Die Ausstellung in der ALBERTINA wird durch die Serie Bohdanka (seit 2004) abgerundet. Wie Rokytnik entsteht sie an ihrem Heimatort. Bohdanka zeigt das alltägliche ländliche Leben einer Großfamilie als alternative Form des Zusammenlebens mit der Umwelt –die Natur wird dabei oftmals zur eigentlichen Protagonistin. Aus dem seit 2004 laufenden Projekt ist in der ALBERTINA erstmalig eine Auswahl dieser Arbeiten ausgestellt.
Hanzlovás Fotografien thematisieren die Durchlässigkeit von Grenzen und den Einfluss globaler Entwicklungen auf das Individuum. Serien wie Bohdanka zeigen eine Antwort auf die vorherrschende Konsumgesellschaft und setzen der globalisierten Warenwelt eine bewusste Lebensweise nah an der Natur entgegen. Die Künstlerin legt dar wie globalisierte Prozesse das Leben von Individuen prägen und sich diese in Reaktion darauf Freiraum schaffen können.
Jitka Hanzlová zählt zu den bedeutendsten Fotografinnen der Gegenwart. Ihr Werk prägt mit sensibler Beobachtung, persönlicher Geschichte, gesellschaftspolitischen Tiefgang und formalem Innovationsgeist die zeitgenössische Fotografie und regt zur kritischen Auseinandersetzung mit Fragen von Identität, Gesellschaft und Natur an.