Gustav Klimt Die Zeichnungen in Albertina Modern

Als phänomenaler Zeichner nimmt Gustav Klimt eine weltweit einzigartige Stellung ein. Er wurde 1862, vor genau 160 Jahren, geboren, und es hat 125 Jahre gedauert, bis er ans Künstlerhaus und damit an jenen Ort zurückgekehrt ist, von dem er 1897 auszog, um mit Gleichgesinnten eine neue Künstlervereinigung, die Wiener Secession, zu gründen, die zur Speerspitze der Wiener Avantgarde um 1900 reifte. Klimt kehrt an dieses Haus zurück, das heute die ALBERTINA MODERN beherbergt, und wird mit einer Personale – seiner ersten in diesem Gebäude – gefeiert: Gezeigt werden die Meisterwerke seiner Zeichenkunst aus der Sammlung der ALBERTINA.

Gustav Klimt
Studie für „Unkeuschheit“ im Beethovenfries, 1901 Schwarze Kreide auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Gustav Klimt
Die Zeichnungen

Ausstellungsdauer
9. April – 17. Juli 2022
Ausstellungsort ALBERTINA MODERN
Albertinaplatz 1 | 1010 Wien T +43 (01) 534 83 0

Kuratorin Elisabeth Dutz (Kuratorin ALBERTINA)
Werke 98
Katalog Erhältlich auf Deutsch (EUR 19,90) im Shop der ALBERTINA sowie unter www.albertina.at

Dank seines Umfangs und repräsentativen Charakters bietet der Sammlungsbestand Werke aus allen Schaffensperioden und Studien zu allen Hauptwerken des Künstlers, etwa den Deckenmalereien im Burgtheater, den Fakultätsbildern für die Universität Wien, zum Beethovenfries sowie zu den zahlreichen Porträts von Damen der Wiener Gesellschaft. Aber auch seine großen autonomen Werkthemen zum ewigen Kreislauf des Lebens sowie seine erotischen Zeichnungen, mit denen Klimt ab 1900 die Darstellung des nackten weiblichen Körpers revolutioniert und den Weg für die Expressionisten Egon Schiele und Oskar Kokoschka ebnet, fehlen nicht.

Gustav Klimt
Brustbild eines Kindes (Studie für „Allegorie der Liebe“), 1895
Bleistift, Weißhöhung auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Diese auf die Zeichnungen konzentrierte Ausstellung vermittelt einen tiefen Einblick in die Arbeitsmethoden und in das geistige Universum des Künstlers Gustav Klimt. Die Zeichnungen, in deren Mittelpunkt stets die menschliche – vor allem die weibliche Figur steht, sind eine Welt für sich, die es verdient, in ihren zahlreichen, vielfach unbekannten Aspekten durchleuchtet zu werden. Maßgebend für Klimt bleibt die Tradition des seriellen Zeichnens nach dem nackten oder bekleideten Modell. Zahllose Studien von Frauen und Männern jeden Alters wie auch von Kindern entstehen im Rahmen seiner gemalten Lebensallegorien.

Gustav Klimt
Bildnis einer Dame mit Cape und Hut, 1897/-1898 Schwarze und rote Kreide auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Durch die unermüdliche Beschäftigung mit den Stellungen und Gesten seiner Figuren geht er der Essenz von bestimmten Gefühlswerten oder existenziellen Situationen auf den Grund. Wie in Trance fügen sich seine in der Fläche verankerten Gestalten einer unsichtbaren Ordnung, sei es im Zustand des Traums, der Meditation oder der erotischen Ekstase. Hinter dieser Darstellungsweise steht die Idee der schicksalhaften Verbundenheit der Menschheit mit dem Kreislauf des Lebens, der von Eros, Liebe, Geburt und Tod bestimmt wird. Auch die vielen Studien für die Damenbildnisse vermitteln den Eindruck eines majestätischen Entrücktseins.

Gustav Klimt
Studie für die linke der „Drei Gorgonen“ im Beethovenfries, 1901
Schwarze Kreide auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Klimts Figuren wirken gleichermaßen sinnlich und transzendent. Kennzeichnend für seine Arbeitsweise ist die subtile Gratwanderung zwischen Gelöstheit des Strichs und formaler Disziplin. Seine meisterhafte Kunst der Linie offenbart sich in jeder Phase seiner Entwicklung – sei es in der fotografisch-realistischen Präzision der 1880er-Jahre, in der fließenden Linearität um 1900, in der metallisch-linearen Schärfe der Goldenen Periode oder in der nervösen Expressivität der späten Jahre.

Ernst Klimt, Gustav Klimt
Mädchenkopf, 1882 Schwarze Kreide auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Historismus und früher Symbolismus (1882–1892)
Die hier gezeigten Werke stammen aus der Zeit von der letzten Phase von Klimts Ausbildung an der Kunstgewerbeschule über die Periode seiner Erfolge als Maler in der Tradition der Ringstraße bis zum Krisenjahr 1892, in dem er sowohl seinen jüngeren Bruder und Malerkollegen Ernst als auch seinen Vater verliert. Vorgeführt werden verschiedene Aspekte seiner frühen Zeichenkunst. Mit den bildhaft gestalteten Allegorien, die er für die Serie Allegorien und Embleme schafft, kann der junge Künstler seine außergewöhnlichen Fähigkeiten auf diesem Gebiet optimal unter Beweis stellen. In diesen Arbeiten emanzipiert sich die Zeichnung, die im Historismus eine hauptsächlich dienende Funktion erfüllt, zu einem autonomen, kreativen Medium.

In der linearen Prägnanz seiner Figurenstudien, mit denen Klimt seine dekorativen Malereien sorgfältig vorbereitet, manifestiert sich schon früh seine unverwechselbare Identität. Einen Durchbruch in seiner zeichnerischen Entwicklung stellen die um 1887 gezeichneten Studien für die Deckengemälde in den Stiegenhäusern des Neuen Burgtheaters dar. In diesen präzise ausgeführten Blättern setzt Klimt sich einfühlsam und vielschichtig mit der menschlichen Figur auseinander. Zu den wesentlichen Neuerungen seines Zeichenstils zählen sowohl die psychologischen als auch die sinnlichen Qualitäten der Umrisslinien.

Trotz seiner großen Erfolge wendet Klimt sich in den späten 1880er-Jahren allmählich vom positiv geprägten Weltbild des Historismus ab. Einen wesentlichen Moment in diesem Prozess markiert die Vorzeichnung zur höchst raffinierten Allegorie der Skulptur. Die weibliche Hauptgestalt geht melancholisch in sich und steht vor einer rätselhaft zusammengesetzten Skulpturenkulisse.

Gustav Klimt
Mann in Dreiviertelansicht (Studie für „Shakespeares Globetheater“, Wiener Burgtheater), 1886/87 Schwarze Kreide, Weißhöhung auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Aufbruch in die „Moderne“ und Secession (1895–1903)
Für Klimt als Maler wie als Zeichner sind die Jahre vor und nach der Gründung der Wiener Secession (1897) von bedeutenden Ereignissen und Umwälzungen geprägt. Seine Arbeit auf Papier gewinnt zunehmend an Bedeutung und Autonomie. Das Medium der Zeichnung kommt sowohl für programmatische Inhalte als auch für die Wiedergabe von modernen Stimmungen und die Verinnerlichung der neuentdeckten Lebensthematik zum Einsatz.

Durch seine Beiträge zur Serie Allegorien, Neue Folge bekennt Klimt sich ab 1895 offen zum Symbolismus. 1897 wird er zum Präsidenten der Secession gewählt. Er gestaltet das Plakat für die erste Ausstellung und zeichnet Illustrationen für die 1898 gegründete Zeitschrift Ver Sacrum. Eine neue Kategorie von Arbeiten bilden Frauenporträts mit mysteriösen Helldunkelübergängen.

Eine grundlegende Wende vollzieht sich im Bereich der Figurenzeichnung. Im Rahmen der Arbeit an den Fakultätsbildern Philosophie und Medizin erforscht Klimt in unzähligen Studien nach nackten Menschen – jung und alt, schön und hässlich – mit Lebensfragen verbundene Grundhaltungen. Den radikalen Übergang von der „Stimmungskunst“ zur neuen Monumentalkunst markiert der Beethovenfries (1901/02). Die Studien für dieses Hauptwerk sind von ausgeprägten Körperkonturen sowie von geometrisch betonten Stellungen und Gesten gekennzeichnet. Das nach dem Beethovenfries entstandene Fakultätsbild Jurisprudenz (1903) ist – ebenso wie die relevanten Zeichnungen – von der Dominanz der Linie geprägt.

Ein neues Genre begründen die Studien im Zusammenhang mit den modernen Damenbildnissen, die 1898 im Porträtgemälde Sonja Knips ihren Ausgang nehmen. Auch in diesem Bereich versucht Klimt den Stellungen und Gesten der in modischen Toiletten posierenden Klientinnen in zahlreichen Studien auf den Grund zu gehen.

Gustav Klimt
Schwebende (Studie zur Ölskizze für „Medizin“), 1897/98 Schwarze Kreide auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Secession und Ver Sacrum
1897 wird die Wiener Secession gegründet, und Gustav Klimt wird zum ersten Präsidenten gewählt. Für die I. Ausstellung der Wiener Secession, die im Gebäude der Gartenbaugesellschaft (heute steht dort ein Hochhaus mit dem Gartenbaukino) stattfindet, da das Secessionsgebäude noch nicht gebaut ist, entwirft er das Plakat. Kurz vor Ausstellungsbeginn wird es zensuriert. Das Motiv zeigt Theseus, der den Minotaurus niederringt. Der Zensurbehörde ist Theseus zu nackt, auch wenn seine Genitalien durch ein Feigenblatt bedeckt sind. Klimt lässt sich rasch eine ungewöhnliche Lösung einfallen: Er setzt vor den Theseus zwei Baumstämme mit schlanken Ästen, wodurch die heikle Stelle verdeckt wird. Beide Varianten, zensuriert und unzensuriert, werden in mehreren Größen gedruckt.

Das Organ der Secession ist die monatlich erscheinende Zeitschrift Ver Sacrum. Die Buch- und Illustrationskunst erlebt eine außergewöhnliche Blüte, die quadratischen Hefte weisen ein jeweils neues Design auf. Das dritte Heft des ersten Jahrgangs (1898) ist zur Gänze dem ersten Vorsitzenden der Vereinigung, Gustav Klimt, gewidmet, der zu diesem Zweck eine Reihe von Tuscharbeiten zeichnet. In der hochformatigen Initiale D hat Klimt den schwarzgelockten, lorbeerbekränzten Profilkopf des Gottes Apoll vor dem Ausschnitt des Lorbeerbaums platziert, in den sich die von ihm verfolgte Nymphe Daphne verwandeln ließ. Dieses Blättermotiv findet sich in der goldenen Lorbeerkuppel wieder, die das 1898 eröffnete Secessionsgebäude krönt.

Gustav Klimt
Reinzeichnung eines Männerkopfes (Illustration für „Ver Sacrum“), 1897/98
Tusche und Deckweiß auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Der Beethovenfries
Keine der Studiengruppen, die Klimt im Zusammenhang mit seinen Gemälden geschaffen hat, wirkt so homogen und harmonisch in sich geschlossen wie der herausragende Komplex der Zeichnungen zum Beethovenfries. Mit höchst treffsicheren Umrisslinien in schwarzer Kreide definiert Klimt subtil das gesamte Spektrum der Personifikationen. Die Blätter zeigen eine besondere Nähe zum Hauptwerk, das untrennbar mit der epochalen Beethovenausstellung von 1902 verbunden war, bei der die Secessionskünstler ihre Idealvorstellungen eines modernen Gesamtkunstwerks demonstrierten.

Der Beethovenfries ist Klimts bildliche Interpretation der 9. Symphonie Beethovens und erstreckt sich über drei Wände. Auch Richard Wagners Aufsatz über Beethoven aus dem Jahr 1870, in dem er erstmals eine psychologische Wirkungsästhetik der Musik formuliert, spielte eine zentrale Rolle. Programmatisch bildet der Beethovenfries eine Gesamtkomposition: Er umfasst die Sehnsucht nach Glück, den Ritter und die Leiden der schwachen Menschheit, die Feindlichen Gewalten, die Poesie sowie das Ideale Reich der Künste und der Liebe.

Gustav Klimt
Studie für „Diesen Kuss der ganzen Welt“ im Beethovenfries, 1901
Schwarze Kreide auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Metallisch-scharfer Zeichenstil (1903–1908)
Nach der einschneidenden Erfahrung der Arbeit am Beethovenfries setzt Klimt 1903 den Auftakt zu seinen geometrisch orientierten Gemälden, in denen Gold eine zunehmend dominierende Rolle spielt. In Hauptwerken wie Die Hoffnung I und II, Die drei Lebensalter oder Der Kuss symbolisieren monumentale Einzelfiguren oder Figurenformationen verschiedene Grundsituationen des menschlichen Daseins. Die Bilder Wasserschlangen I und II sowie Judith II (Salome) thematisieren die weibliche Erotik und ihre verführerische Macht, während die Figur der „Erwartung“ im Stocletfries auf die Symbolik von Sehnsucht und Erlösung im Beethovenfries Bezug nimmt.

Klimts zeichnerische Kreativität erreicht in diesen Jahren einen Höhepunkt. Um 1904 wechselt er von Packpapier und schwarze Kreide zu Japanpapier und Bleistift. In Verbindung mit der leicht schimmernden Papierfläche lässt die metallische Schärfe seiner Bleistiftlinien an die ornamentalen Qualitäten der Gemälde denken. Charakteristisch für Klimts Zeichnungen des Goldenen Stils ist der spannungsvolle Ausgleich zwischen gelöster Sinnlichkeit und strenger Disziplin. In der einfühlsamen und offenen Auseinandersetzung mit den Lebensthemen – vor allem mit der Erotik – geht Klimt in seinen Figurenstudien weit über seine Gemälde hinaus. Seine Blätter sind von hoher linearer Komplexität und weisen vielfach den Status von autonomen Kunstwerken auf.

In den Studien für Porträtgemälde wie Fritza Riedler oder Margarethe Stonborough- Wittgenstein finden sowohl die geometrisierende Tendenz als auch die subtile Ornamentik des Goldenen Stils ihren Niederschlag.

Gustav Klimt
Stehendes Liebespaar, 1907/08
Bleistift, roter Farbstift, Goldfarbe auf Papier © ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner

Die späten Jahre (1910–1918)
Die letzten acht Jahre seines Lebens zieht Klimt sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. 1912 bezieht er sein letztes Atelier in Hietzing, am damaligen Stadtrand von Wien. Als Zeichner widmet er sich ab 1910 zunehmend der erotischen Thematik, die für ihn den Kern des Lebensmysteriums bildet. Im Rahmen seiner Hauptwerke Die Jungfrau (1913) und Die Braut (1917, unvollendet) entfaltet er mit der Wahl seiner Modelle ein breites typologisches Spektrum. Die zahllosen autonomen Zeichnungen, die in seiner letzten Lebensphase entstehen, zeigen die für ihn überragende Bedeutung der unmittelbaren Arbeit auf Papier. Er lockert seine Strichführung bis hin zur Abstraktion, und präsentiert die Modelle in manchmal extremen räumlichen Positionen. Sein einziges Stilmittel ist nach wie vor die Linie, mit der er die erotischen Stimmungen und Ekstasen gleichsam einfriert. Wirksam spielt er die oft heftig wiederholten Körperumrisse und wild gezeichneten Stoffmuster gegeneinander aus. Dennoch bleibt für ihn das Diktat der Blattgrenzen und die Gebundenheit an die Fläche oberstes Gebot.

Breiten Raum nehmen die Studien für Damenbildnisse ein; mehrfach erhält Klimt in seinen letzten Jahren Aufträge für solche Arbeiten. Die Vielfalt seiner Experimente mit Stellungen und verschiedenen Arten der Bekleidung kommt in den hier gezeigten Arbeiten zum Ausdruck. Nach wie vor widmet er sich intensiv auf bestimmte Typen konzentrierten Halb- oder Brustbildnissen anonymer Frauen.

Gustav Klimt
Liegender Halbakt, 1914/15 Bleistift auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Damenbildnisse I (1898–1903)
Mit dem 1898 gemalten Bildnis Sonja Knips setzt Klimt den Auftakt zu seinen berühmten Porträtgemälden von Damen der modernen Wiener Gesellschaft. Neuartig ist nicht nur das quadratische Format, sondern auch die Arbeit an Studienserien. Blatt für Blatt setzt sich Klimt mit den verschiedenen Stellungen und Gesten der Posierenden sowie der Wirkung ihrer modischen Bekleidung auseinander. Stets versucht er, das Wesen einer Stellung, einer Geste und eines Blicks durch „beseelte“ Umrisslinien zu erfassen und die Figur durch wohlkalkulierte Formüberschneidungen in der Papierfläche zu fixieren. In den zahlreichen Studien für seine Damenbildnisse bleibt Klimt diesen Prinzipien, bei allen Änderungen seines Stils, sein Leben lang treu.

Die Studienserie für das 1899 gemalte Bildnis Serena Lederer demonstriert Klimts Arbeitsmethode. Mehrfach erprobt er den Effekt des in feinen Falten fließenden Reformgewandes, wobei er die aufrecht Stehende oben und unten leicht von den Papierrändern beschneiden lässt. Beschwingtes lineares Fließen und strenge Flächengebundenheit halten einander die Waage.

Auf grandiose Weise markiert die um 1904 gezeichnete Studie für das 1907 vollendete Bildnis Adele Bloch-Bauer I den Abschied von der fließenden Linearität der frühen Secessionszeit und den Auftakt zur geometrisch bestimmten Flächigkeit der Goldenen Periode.

Damenbildnisse II (1904–1910)
Klimts Wende zur neuen Monumentalität lässt sich um 1904 in den Zeichnungen für seine Porträtbilder klar verfolgen. Im Bildnis Fritza Riedler thront die Dargestellte vor einer aus geometrischen Groß- und Kleinformen gebildeten Kulisse. In der Studie dominiert die ruhige Tektonik der sparsam umrissenen, wirksam voneinander abgesetzten Flächen. Die leere Dreiecksform der ausgelassenen Seitenlehne bildet eine Barriere zwischen dem Betrachter und der majestätisch abgehobenen Gestalt.

Die Studien für das Bildnis Margarethe Stonborough-Wittgenstein markieren eine Übergangssituation. Klimt verwendet hier bereits das neue, hell schimmernde Japanpapier, zeichnet aber noch mit schwarzer Kreide. Durch die so entstehende Kontrastwirkung intensiviert sich die Wiedergabe der fein gemusterten, dünnen Stoffe. Immer wieder variiert Klimt das Motiv der einander überlagernden Schichten des plissierten Kleids und des leichten, frei fallenden Umhangs. In fast allen Studien betont er mit kräftigen Linien die ausgeprägte Physiognomie der selbstbewussten jungen Frau, deren stehende Gestalt oben und unten von den Blatträndern beschnitten wird. Im Gemälde kommt es durch den seitwärts in die Ferne gerichteten Blick der Porträtierten zu einer größeren Distanz zwischen ihr und dem Betrachter. Zudem ist die Figur unverrückbar in der geometrisch gestalteten Kulisse verankert.

Etwas privater wirkt Klimts Studie der mit ihm persönlich bekannten Magda Mautner von Markhof, deren gemaltes Bildnis nicht zustande kam. Ihr nachdenkliches Gesicht befindet sich auf Augenhöhe mit dem Künstler. Die Rüschen ihres weit fallenden Kleides umfangen sie in harmonisch gegliederten Schichten, und die geschwungene Rückenlehne ihres Sessels rundet ihre in sich geschlossene Erscheinung ab. Auch hier zeichnet Klimt noch mit schwarzer Kreide auf der neuen Papiersorte.

Gustav Klimt
Dame mit Federhut, 1908
Tusche, Bleistift, roter Farbstift, weiße Deckfarbe auf Papier
© ALBERTINA, Wien

Damenbildnisse III (1910–1917)
Nach einer längeren Unterbrechung widmet Klimt sich nach 1910 erneut einer Reihe von Damenbildnissen. In seinen Studien betont er nun die räumlichen und plastischen Qualitäten der Figuren und erfasst deren Umrisse und Bekleidung zumeist mit kurzen, nervösen Strichen oder mit satten, sich wiederholenden Linien.

Bei aller formalen Disziplin weisen die Dargestellten durchaus individuelle Unterschiede auf. Heiter und gelassen wirken die klar umrissenen Studien für das Bildnis Paula Zuckerkandl. Von diesen Blättern hebt sich die dem Gemälde nahekommende Zeichnung durch besonders zarte Linien ab. Die schweren Strichformationen der Studien für das Bildnis Adele Bloch-Bauer II atmen eine melancholische Stimmung. Von natürlicher Unmittelbarkeit sind die Zeichnungen für das Kinderbildnis Mäda Primavesi, die, als Serie präsentiert, einen lebhaften Eindruck von Klimts Arbeitsweise vermitteln. In den gleichzeitig entstandenen Zeichnungen für das Bildnis Eugenia Primavesi, der Mutter des Mädchens, scheinen die kräftig wiederholten satten Linien des weichen Bleistifts der matronenhaften Gestalt kongenial zu entsprechen. Hier ist Klimt sichtlich um die Balance zwischen Raum und Fläche bemüht.

Durchaus beschwingt präsentieren sich die 1913/14 gezeichneten Studien für das erst 1917 begonnene Bildnis Amalie Zuckerkandl. Der unvollendet gebliebenen Komposition entspricht das Blatt, in dem die frontal Dargestellte mit ihrer Sitzgelegenheit gleichsam zu einem Gebirge verschmilzt. Die lyrische Studie einer Tänzerin (1916/17) dient der Überarbeitung des posthumen Bildnisses Ria Munk II, das von den Eltern der durch Selbstmord umgekommenen jungen Frau verworfen wird. Das 1917 in Auftrag gegebene Bildnis Ria Munk III bleibt unvollendet. Fast metaphysisch wirkt die Studie der von Tüchern umwickelten, säulenhaft in der Fläche verankerten Gestalt.

Erotische Aktzeichnungen
Als Zeichner ist Klimt vor allem durch seine raffinierten erotischen Aktzeichnungen berühmt. Wie der sakrale Ernst erkennen lässt, von dem auch die extremsten Darstellungen in diesem Bereich gekennzeichnet sind, empfindet der Künstler den Eros als geheimnisvollen Kern der Lebensthematik.

Ihre sublime Ausprägung findet die erotische Thematik in den Zeichnungen der späten Jahre. Neben seinen Studien für Die Jungfrau und Die Braut entstehen zahllose autonome Blätter. Mit dem immer wieder offen dargebotenen weiblichen Geschlecht mag Klimt die Quelle der Erregung oder überhaupt den Ursprung des menschlichen Lebens im Sinn gehabt haben. Seine Darstellungen durch Masturbation herbeigeführter Zustände der Ekstase gehören zu seinen berauschendsten Ergebnissen, wie sie nur mit dem Medium der Zeichnung erzielt werden können. Immer wieder begibt Klimt sich auf eine Gratwanderung zwischen unmittelbarer Beobachtung und dem Bestreben, Stellungen und Bewegungen der Modelle einer raumbezogenen Ordnung zu unterwerfen. Dabei zeigt er eine besondere Vorliebe für räumlich komplizierte Positionen und extreme perspektivische Effekte. Die gezeigten Arbeiten zeichnen sich vor allem durch den Kontrast zwischen reich strukturierten Draperien und hell hervorleuchtenden nackten Körperteilen aus.

Im Gegensatz zu den heftig bewegten und räumlich komplexen Darstellungen sind die Studien von horizontal liegenden, erotisch verträumten Modellen von meditativen Stimmungen geprägt. Wie zuvor in den Zeichnungen für Wasserschlangen II scheinen sie durch die seitlichen Fragmentierungen und durch den wellenförmigen Verlauf der sie umgebenden Textilien in einem horizontalen Kontinuum aufzugehen.

Biografie
14. Juli 1862
Geburt in Wien-Baumgarten, Linzer Straße 247
1876 Stipendium für die Kunstgewerbeschule, die Klimt bis 1883 besucht.
um 1880 Zusammenschluss mit Ernst Klimt und Franz Matsch zur Künstler- Compagnie.
1883–1888
Dekorationsarbeiten für Theater der Habsburger Monarchie (Rijeka, Reichenberg, Karlsbad) und in der Hermesvilla.
Deckenfresken für das neue Burgtheater in Wien bringen Erfolg und Anerkennung.
1890
Atelier im Gartenpavillon des Hauses Josefstädter Straße 21 in Wien VIII.
Auftrag an die Künstler-Compagnie für das große Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums.
Bekanntschaft mit der Familie Flöge: Emilie Flöge wird zum engsten Lebensmenschen.
1891 Mitglied der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus).
1892
Tod des Bruders Ernst und des Vaters: Jahre des Rückzugs und der Neuorientierung.
1894
Auftrag der Ausgestaltung der Decke des Großen Festsaals der Universität Wien (Fakultätsbilder).
1897
Austritt aus dem Künstlerhaus.
Gründung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Secession: Klimt wird erster Präsident.
1898
Beginn einer Serie von Damenbildnissen der Wiener Gesellschaft (punktuell bereits auch früher, vermehrt nach 1905).
1900
Die VI. Secessionsausstellung inspiriert Klimt, sich mit japanischer Kunst auseinanderzusetzen.
Klimt verbringt von nun an bis 1916 jeden Sommer mit der Familie Flöge am Attersee. Dort entsteht der Großteil seiner Landschaftsgemälde, fast alle im quadratischen Format.
1902 Die XIV. Secessionsausstellung ist als Gesamtkunstwerk dem Komponisten Ludwig van Beethoven gewidmet: Klimt malt den Beethovenfries.
1903 Die XVIII. Secessionsausstellung ist exklusiv Gustav Klimt gewidmet.
Bei einer Reise durch Italien beeindrucken ihn die prachtvollen Mosaiken in Ravenna und Rom tief.
Beginn der Goldenen Periode.
1905 Nach Jahren der Anfeindungen und des Streits tritt Klimt vom gesamten Auftrag der Fakultätsbilder zurück.
Austritt der Klimt-Gruppe aus der Secession und Gründung der Kunstschau (mit wichtigen Ausstellungen 1908 und 1909).
1907 Illustration der Hetärengespräche mit erotischen Zeichnungen.
1911 Neues Atelier in der Feldmühlgasse 11 in Wien XIII.
Fertigstellung des Mosaikfrieses für das Palais Stoclet in Brüssel.
1914–1918 Klimt war altersbedingt vom Militärdienst befreit. Er lebte sehr zurückgezogen und widmete sich in seinem Werk neben den Damenporträts thematisch vor allem dem ewigen Kreislauf des Lebens.
6. Februar 1918 Gustav Klimt stirbt an den Folgen eines Schlaganfalls.

Gustav Klimt
Mädchen (Julia) und Handstudien (Studien für „Shakespeares Globetheater“, Wiener Burgtheater), 1886/87
Schwarze Kreide, Weißhöhung auf Papier
© ALBERTINA, Wien


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