FOTOCULT MAGAZIN

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Man Ray ist ab heute im Kunstforum Wien zu sehen!

„Alles steht mit der Fotografie in Verbindung, weil letztlich alles fotografiert werden muss.“

Man Ray

Noire et Blanche, 1926 (um 1970) Silbergelatineprint
Privatbesitz, Courtesy Galerie 1900-2000, Paris © MAN RAY TRUST/Bildrecht, Wien, 2017/18 

“Everything is related to photography, because it all has to be photographed in the end.” 

MAN RAY

Man Ray (1890–1976) ist einer großen Allgemeinheit heute als Fotograf bekannt. T atsächlich war er einer der produktivsten und vielseitigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Während er in den USA längst als Ikone gilt, wurde sein Gesamtwerk in Europa bis dato nur spärlich rezipiert.

Die Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien widmet sich dieser Aufgabe und damit dem Universalkünstler Man Ray. Anhand von rund 200 Werken von internationalen Leihgebern, darunter dem Museum of Modern Art und dem Whitney Museum in New York, dem Centre Pompidou in Paris, der Tate London, der Sammlung Marion Meyer in Paris und der Fondazione Marconi in Mailand, stellt die Schau Man Rays richtungsweisenden intermedialen und damit zeitgenössischen Ansatz heraus. Malerei, Fotografie, Zeichnung, Assemblage, Aerografie, Film, Buch- und Objektkunst – es gibt kein Medium, mit dem Man Ray nicht gearbeitet hätte: So entsteht ein vielfältiges, poetisches und oft humorvolles Panorama, das es ermöglicht, erstmals den „ganzen Man Ray“ kennenzulernen.

Einflüsse von Fauvismus und Kubismus

Man Ray, der 1890 als Emmanuel Radnitzky in Philadelphia geboren wurde und 1976 im Alter von 86 Jahren in Paris verstarb, formte in seiner Experimentierfreude und mit schier unendlichem Ideenreichtum die Definition, wie und was heute als „Kunst“ betrachtet wird. Bereits zu Schulzeiten hegte Man Ray eine Faszination für die technische Zeichnung.

Am Beginn der Ausstellung steht Man Rays in Europa kaum bekanntes Frühwerk, das neben abstrakt-technischen Studien auch jene Gemälde umfasst, die während seines Aufenthalts in der Künstlerkolonie in Ridgefield (1913 bis 1915) entstanden und stark vom Fauvismus und Kubismus geprägt sind. Die Suche nach einer eigenen 

Bildsprache setzte sich mit der Rückkehr nach New York fort, wo er sich der Fotografie und dem künstlerischen Potenzial alltäglicher Objekte zuwandte.

Kollaboration mit Marcel Duchamp

Gemeinsam mit Marcel Duchamp, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, entstanden kongeniale Werke, die Begriffe wie Original und Dokumentation in Frage stellen und Geschlechtergrenzen, unter anderem durch das Posieren vor der Kamera in Frauenkleidung, verwischen. In ihren Kollaborationen nahmen Man Ray und Duchamp bereits in den 1910er-Jahren Ansätze der Konzeptkunst und Body Art vorweg.

1921 kam Man Ray nach Paris – die Dadaisten und Surrealisten nahmen ihn begeistert auf. Ohne sich jedoch einer Gruppierung anzuschließen, arbeitete er unter anderem eng mit Tristan Tzara und André Breton zusammen. Allmählich avancierte Man Ray zu einem der gefragtesten Fotografen der Stadt. Neben seiner künstlerischen Arbeit nahm er auch kommerzielle Aufträge an und fotografierte innovative Modestrecken für Zeitschriften wie „Harper’ s Bazaar“ oder „Vogue“. Seine Experimente in der Dunkelkammer führten zur „Entdeckung“ der Rayografie – Man Rays Form des Fotogramms, einer kameralosen Fototechnik – und zur Entwicklung der Solarisation, gemeinsam mit der Künstlerin Lee Miller, mit der er von 1929 bis 1932 liiert war.

Vorreiter der Intermedialität

Der Hauptraum des Bank Austria Kunstforum Wien ist dem medienübergreifenden Arbeiten – einer Praxis, die in der zeitgenössischen Kunstproduktion heute eine Selbstverständlichkeit ist – gewidmet. Man Ray wechselte scheinbar mühelos zwischen Objekt, Fotografie, Malerei und Zeichnung – und versuchte dabei stets, seiner jeweiligen Idee den geeignetsten künstlerischen Ausdruck zu verleihen. Alltagsobjekte wie Haushaltsgeräte oder Musikinstrumente verwandelte Man Ray so zu geheimnisvollen Objekten, die er in Fotografien und Gemälde (und vice versa) übersetzte. In einem eigens eingerichteten Cinéma werden Man Rays Filme, die in den 1920er-Jahren entstanden und prägend für die Ästhetik des Avantgardefilms sind, gezeigt.

Ende der 1930er-Jahre kehrte Man Ray wieder zur Malerei zurück und verarbeitete die Bedrohung Europas durch die Nationalsozialisten in heute geradezu prophetisch wirkenden Gemälden, deren markanteste Beispiele wie „La Fortune“ – dem Billard- Tisch, der über die Zukunft Europas zu entscheiden scheint – in der Schau versammelt sind.

Bis heute andauernde Rezeption

Abschließend wird erstmals auch der bis heute andauernden Rezeption Man Rays Beachtung geschenkt und so die Aktualität seiner Bildsprache und Kompositionen vor Augen geführt: Wie kaum ein anderer Künstler prägt Man Ray unsere (Alltags-)Kultur in Musikvideos, Mode, Kosmetik, Filmen, Graphic Novels, Einrichtungsgegenständen und Werbekampagnen. So verdeutlicht die Ausstellung Man Rays Rolle als Pionier der Intermedialität, der sich keinem Stil oder Künstlergruppe zugehörig fühlte, sich in den Verkörperungen seiner Ideen in verschiedensten Medien Mal um Mal neu erfand und sich somit bis heute jeder Kategorisierung entzieht. 

Man Ray

Violon d’Ingres, 1924 (1990)
Courtesy Galerie Johannes Faber
© MAN RAY TRUST/Bildrecht, Wien, 2017/18 

MAN RAY

Emmanuel Radnitzky wird am 27. August 1890 in Philadelphia als das älteste von insgesamt vier Kindern geboren. 1898 zieht die Familie nach Williamsburg, Brooklyn. Nach seinem Highschool-Abschluss 1908, lehnt er ein Stipendium für ein Architekturstudium an der University of New York ab. Stattdessen richtet er sich ein Atelier in der elterlichen Wohnung ein und arbeitet unter anderem in einem Anzeigenbüro und einem technischen Verlag. Er besucht in dieser Zeit regelmäßig Alfred Stieglitz’ Galerie 291 in Manhattan, wo er erstmals mit dem fotografischen Medium in Berührung kommt. Die Radnitzkys ändern 1912 den Familiennamen offiziell in „Ray“, aus Emmanuel wird „Man“. Man Ray schreibt sich am progressiv- anarchistischen Ferrer Center in Harlem ein und belegt Kurse unter anderem bei George Bellows und Robert Henri.

Zu Beginn des Jahres 1913 besucht Man Ray mehrmals die Armory Show. Im Frühjahr desselben Jahres zieht er in eine Künstlerkolonie in Ridgefield, New Jersey und widmet sich dort vom Kubismus und Fauvismus beeinflussten Landschafts- und Aktstudien. Im August 1913 lernt Man Ray in Ridgefield die belgische Dichterin Donna Lecoeur (Künstlername Adon Lacroix) kennen, sie heiraten am 27. August 1914. Im Herbst 1915 besucht Marcel Duchamp die Künstlerkolonie: Bei einem gemeinsamen Tennismatch begründet sich die lebenslange Freundschaft Man Rays und Duchamps. Im Oktober 1915 zeigt die New Yorker Daniel Gallery Man Rays erste Einzelausstellung. Im Winter 1915 beziehen Man Ray und Adon Lacroix ein Wohnatelier in der Lexington Avenue in New York. Unter Einfluss von Duchamps Readymades beginnt Man Ray sich für industriell gefertigte Gegenstände zu interessieren und integriert sie in seine Werke. 1917 beginnt Man Ray mit der Technik des Airbrush zu experimentieren, zahlreiche Aerografien entstehen. 

Nachdem Duchamp im Juni 1921 New York in Richtung Paris verlassen hat, versucht auch Man Ray finanzielle Mittel für einen Umzug nach Paris zu lukrieren. Mit Unterstützung seines Förderers Ferdinand Howald bricht er am 14. Juli 1921 nach Le Havre auf, am 22. Juli erreicht er Paris. Duchamp führt Man Ray in den Kreis der Dadaisten ein, dem unter anderem Louis Aragon, André Breton, Paul Éluard und seine Frau Gala, Jacques Rigaut, Philippe Soupault sowie Tristan Tzara angehören. Im Dezember 1921 eröffnet Man Ray seine erste Einzelausstellung „Éxposition Dada Man Ray“ in Paris. Er lernt das Modell Alice Prin (Künstlername Kiki de Montparnasse) kennen, bis 1928 sind sie ein Paar. Kiki wird sein wichtigstes Modell.

1922 experimentiert Man Ray mit der historischen Technik des Fotogramms und nennt seine „Entdeckung“ Rayografie. In den folgenden Jahren legt Man Ray seinen künstlerischen Fokus auf die Fotografie und avanciert zu einem der gefragtesten Portrait- und Modefotografen. Von 1923 bis 1926 ist die Fotografin Berenice Abbot seine Assistentin. In den Jahren 1923 bis 1929 entstehen vier Kurzfilme. Lee Miller und Man Ray führen von 1929 bis 1932 eine Beziehung und experimentieren mit der Fotografie; so entdecken sie im August 1929 die Solarisation. 1938 findet in Paris die wegweisende „Éxposition Internationale du Surréalisme“ statt, Man Ray ist unter anderem für die Beleuchtung zuständig. Im Juni 1940 verlässt Man Ray Paris aufgrund des Einmarschs der Nationalsozialisten in Frankreich und kehrt nach New York zurück.

Im September 1940 zieht Man Ray nach Kalifornien, wo er Juliet Browner kennenlernt. Beide beziehen 1941 ein Wohnatelier in der Vine Street, Los Angeles. Man Ray lehnt weitere Aufträge für Modefotografie ab und erstellt neue Versionen seiner verloren geglaubten, in Frankreich zurückgelassenen Werke. 1945 eröffnet die Ausstellung „Objects of My Affection“ in der Julien Levy Gallery in New York. Am 24. Oktober 1946 werden Man Ray und Juliet Browner, Max Ernst und Dorothea Tanning in einer Doppelhochzeit in Los Angeles getraut. 1948 präsentiert Man Ray seinen Gemäldezyklus „Shakespearean Equations“ im Rahmen der Ausstellung „To Be Continued Unnoticed“ in den Copely Galleries in Beverly Hills. 

Im März 1951 verlassen Man Ray und Juliet Man Ray die USA Richtung Paris. Sie beziehen dort ein Wohnatelier in der Rue Férou. Man Ray widmet sich wieder verstärkt der Malerei. 1957 wird während der Ausstellung „Éxposition Dada 1916–1922“ in der Galerie de l’Institut in Paris Man Rays „Objet à détruire“ von Mitgliedern einer anarchistischen Studentengruppe zerstört. Auf der Biennale della Fotografia in Venedig wird Man Ray 1961 mit der Goldmedaille ausgezeichnet. 1966 eröffnet die erste umfassende Retrospektive im Los Angeles County Museum of Art. Im gleichen Jahr erhält Man Ray den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie. 1976 wird Man Ray der Ordre des Arts et des Lettres durch die französische Regierung verliehen.

Am 18. November 1976 stirbt Man Ray im Alter von 86 in seinem Atelier in der Rue Férou. Er wird am Cimetière du Montparnasse beigesetzt. 

„Was für eine Kamera benützen Sie am liebsten? – Keine! Ich muss sie alle verändern. Alle meine Fotoapparate sind von mir gestaltet. Ich zerlege die Linsen, füge sie wieder zusammen und gebe sie in Kameras, für die sie nicht vorgesehen sind.“
“What type of camera do you prefer to work with? – None! I have to modify them all. My cameras are all of my own design. I take lenses apart and put them together again and put them on cameras that were not meant for them.”